Digitale Haustechnik

Vernetzung ohne Verwirrung

Text: Dirk Beyer | Foto (Header): © Thomas Söllner – stock.adobe.com

Im Zuge der Digitalisierung ist immer öfter die Rede vom „Smart Home“/„Smart Building“, es ist der Trend im zeitgemäßen Wohnen und Bauen. Im Zweckbau ist intelligente Gebäudetechnik keine Neuheit, sie wird bereits seit vielen Jahren eingesetzt. Sie gelangt nun verstärkt in den privaten Wohnbau. Eine einheitliche Definition des Begriffs gibt es aber nicht. Was also ist ein „Smart Home” eigentlich genau?

Auszug aus:

EnEV Baupraxis
Fachmagazin für energieeffiziente Neu- und Bestandsbauten
Ausgabe Januar / Februar 2019
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Technisch gesehen besteht das Smart Home aus Sensoren, Aktoren und einer Form der zentralen/dezentralen Intelligenz. Diese bilden gemeinsam ein Netzwerk, in dem über gegenseitige Abhängigkeiten Effizienz, Sicherheit und Komfort erhöht werden können. Mit zunehmendem Maß der Verknüpfung steigen die Synergieeffekte.

Als Smart Home werden also Wohneinheiten bezeichnet, in denen Einrichtungs-, Haushalts- und Multimedia-Geräte miteinander vernetzt sind und interagieren. Technische Teilaspekte des Smart Homes sind die Hausautomation mit Funktionen wie Licht, Verschattung, Heizung, Lüftung/Klima, Alarm usw.; die vernetzte Unterhaltungselektronik, die Musik, Fotos, Filme, Internet und das Thema IT betrifft; Smart Metering mit Details zu Energiebewusstsein, Abrechnung und Netzoptimierung sowie vernetzte Hausgeräte wie Herd, Kühlschrank, Waschmaschine, um nur einige zu nennen. Sie können zentral ferngesteuert werden, z. B. per Smartphone.

Oft werden technische Gadgets mit dem Begriff „Smart Home“ in Verbindung gebracht. Hardware dieser Art trifft aber nicht den Kern, sie stößt schnell an ihre Grenzen. Um ein Gebäude „intelligent“ zu machen, geht es um umfassendere Maßnahmen. Intelligent wird ein Gebäude dann, wenn seine Vitalfunktionen durch die Gebäudesystemtechnik gewerkeübergreifend aufeinander abgestimmt sind und miteinander kommunizieren und agieren. Und das nicht nur im privaten Wohnbau sondern bei Gebäuden jeder Art und jeden Zwecks. Immobilien werden aufgewertet und sind für die Zukunft gerüstet. Kurzum: Smart Home – das sind komfortable, energie- und kosteneinsparende Maßnahmen, die sich auf den jeweiligen Bedarf ausrichten lassen und seinen Nutzer vielseitig unterstützen.

 

Die Marktsituation

Mittlerweile werden viele smarte Systeme und Lösungen angeboten, deshalb ist die Marktsituation unübersichtlich. Es bestehen starke Unterschiede hinsichtlich Preis, Systemstabilität und Marktdurchdringung. Die Schnittstellenproblematik wird vielfältiger, und der Bauherr ist überfordert.

Für den Laien ist es komplex, sich durch das Gewirr von Programmiersprachen, Systemen, Herstellern und Komponenten zu arbeiten. Eine Gebäudeautomation ist aber nur dann erfolgreich, wenn sie tatsächlich auf die Vorstellungen des späteren Nutzers eingeht. Um ein gewerkeübergreifendes Optimum der Funktionen zu erreichen, sind Kenntnisse in Hinblick auf einzusetzende Geräte und eine fundierte Planung nötig.

Die zahlreichen proprietären Systeme sind nicht mit anderen Systemen und Komponenten anderer Hersteller vereinbar. Auch lassen sich keine Aussagen zur langfristigen Verlässlichkeit oder Kompatibilität mit späteren Weiterentwicklungen treffen. Handelt es sich um ein Einzelsystem, z. B. die Rollläden, kann ein proprietäres System eine passende Lösung sein. Die Erwartungen des Bauherrn spielen hier eine wesentliche Rolle.

Nicht nur der spätere Nutzer, auch das Gebäude stellt durch Beschaffenheit und Bauweise Anforderungen an das System. Generell gilt, dass insbesondere bei einem Neubau oder einer Sanierung ein kabelbasiertes Gesamtsystem einem funkbasierten vorzuziehen ist. Sogar dann, wenn zunächst nur ein kleiner Gebäudebereich automatisiert werden soll. Leitungsgebundene Systeme sind weniger störanfällig und übertragen die Daten schneller. Anschaffungskosten sind aufgrund des Installationsaufwands zwar höher, amortisieren sich jedoch in der Regel im Laufe der Nutzungsdauer. Sogar eine reine Vorsorgeinstallation, bei der zunächst nur das Leitungsnetz verlegt wird, ist sinnvoll. So können Funktionen jederzeit zu einem anderen Zeitpunkt eingerichtet werden. Eine spätere Nachrüstung dagegen wäre bei einem kabelbasierten System aufwendig. Eine Mischung von unterschiedlichen Systemen ist schwierig und daher nicht empfehlenswert.

 

Herstellerunabhängig – das Bussystem KNX

Das seit 1990 stetig weiterentwickelte Bussystem KNX ist ein herstellerunabhängiger Standard, der seit 2006 international genormt und weltweit verbreitet ist. Seine Marktdurchdringung belegen unter anderem 450 Hersteller, die KNX-Hardware produzieren. KNX nutzt eine fest installierte Leitung für den Datentransport.
Da sich die Leitungsführung wesentlich von der einer konventionellen Installation unterscheidet, ist eine Entscheidung für oder gegen KNX frühzeitig erforderlich.

KNX hat eine lange Lebensdauer, ist flexibel und bietet viele funktionelle Möglichkeiten. Jeder Anschluss kann per Neuprogrammierung umdefiniert werden. Auf technische Entwicklungen kann also mit wenig Aufwand reagiert werden, ebenso auf Umfunktionierungen von Räumen. Ändert sich bspw. die Raumnutzung von einem Kinderzimmer zu einem Fitnessraum, können neue Anforderungen an den Raum schnell umgesetzt werden. KNX ermöglicht das Zusammenspiel verschiedener Komponenten, so wie auch das unterschiedlicher Gewerke, die über ein einheitliches Netz kommunizieren. Technische Daten können gesammelt und am gewünschten Ort zur Verfügung gestellt werden.

Das vielbemühte Argument, KNX wäre besonders hochpreisig, kann widerlegt werden. Eine Basisinstallation lässt sich kostengünstig umsetzen, die Mehrkosten gegenüber einer konventionellen Installation sind gering. Eine KNX-Basis ist der Grundstein für ein echtes Smart Home und ermöglicht Erweiterungen und Funktionen, die erst später eingerichtet werden.

Auf diese Weise, mit einer ausbaufähigen Vorsorgeinstallation, ließe sich das „Smart Home“ im gewerblichen Wohnungsbau vorantreiben. Sollen Gebäude nachhaltig für die Zukunft gebaut werden, sind intelligente Funktionen auch dort obligat. Doch Entscheider treffen auf die gleichen Hürden wie alle Interessenten: auf einen unübersichtlichen Markt, auf dem die großen Player am lautesten schreien, aber nicht unbedingt die beste Lösung anbieten.

Um dem Thema „Smart Home“ hier seine Komplexität zu nehmen und es für alle Beteiligten nachvollziehbar zu machen, benötigen Entwickler und Planer im Geschosswohnungsbau ein verständliches Konzept, das die spätere Leistung konkretisiert. Dazu gehört es, die umzusetzenden Smart Home Funktionen genau zu beschreiben. Denn sie sollen angeboten und verkauft werden. Produktbezeichnungen sagen dem Verbraucher in der Regel nichts. Durch Beschreibung werden die  Funktionen greifbar und in ihrem Nutzen deutlich. Das ist wichtig, insbesondere in einem Bausegment, in dem viele Beteiligte mit Wissen und Kenntnis abgeholt werden müssen.

 

Wichtige Funktion am Bau: der Systemintegrator

Es erfordert eine fundierte Beratung und Planung, um die für den Nutzer idealste Lösung zu erreichen. Jedes Gewerk hat seinen Spezialisten. Der Systemintegrator ist der Experte, der gewerkeübergreifend funktionierende Lösungen kennt und entwirft. Er ist quasi die Schnittstelle zwischen den Gewerken. In der HOAI ist seine Funktion am Bau allerdings nicht beschrieben. Er ist aber derjenige, der alle losen Fäden miteinander verknüpft. Seine Kenntnisse sind nötig, damit Bauvorhaben, die smart werden sollen, von Beginn an technisch optimal und damit letztendlich auch kostenoptimiert geplant werden können.

Er identifiziert die Nutzerwünsche, berät und zeigt die Optionen auf. Es ist nötig, die derzeitigen Systemmöglichkeiten und -grenzen durch Produktkenntnis auszunutzen und die Weichen für spätere Erweiterungen oder geänderte Funktionswünsche möglichst in der Planungsphase zu stellen. Denn der Fokus liegt auf Flexibilität und Ausbaufähigkeit der jeweiligen Anwendungen. Mit dieser Betrachtungsweise veraltet ein System nicht, da es sich mühelos an neue Gegebenheiten und Anforderungen anpassen lässt.

In der Planungsphase bestimmt der Systemintegrator die auszutauschenden Datenpunkte und koordiniert die Spezialisten der einzelnen Gewerke, um Zusatznutzen zu erreichen. Dabei müssen die Fachexperten teilweise die gewohnten gewerkespezifischen Bussysteme gegen Komponenten substituieren, die einen übergreifenden Datenaustausch ermöglichen. So wird der Nutzen des Kunden nicht durch Materialeinsatz, sondern durch Synergieeffekte der beteiligten Einzelgewerke und -prozesse gebildet. Der Systemintegrator koordiniert, kontrolliert und betreut. Es ist an der Zeit, dass seine wichtige Rolle am Bau vom Gesetzgeber erkannt und entsprechend berücksichtigt wird.

Der Autor

Dirk Beyer
Dipl.-Ing., Dipl.-Wirt.-Ing.

Dirk Beyer hat sein Ingenieurbüro vor 25 Jahren in Neumünster gegründet. Als Systemintegratoren beschäftigen sich er und sein Team mit allen Aspekten der Gebäudesystemtechnik, zum Beispiel in der Elbphilharmonie in Hamburg. Er engagiert sich in Vereinen und Verbänden.

Kontakt:
info@ing-beyer.de
www.ing-beyer.de

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